Zwei Netze Kohlen


Der Ofen ist kalt. Die Wohnung ist kalt. Draußen ist es kalt.
Zwei private Kohlenhändler teilen sich das Wohnviertel. Der eine ist laufend besoffen. Sein Zustand färbte auf die Träger ab. Als ich ihm das sagte, warf er mich von seinem Grundstück.
Der andere ist zwar höflich, liefert aber unzuverlässig.,
„Keine Kapazitäten, keine Kapazitäten“, jammerte er, „in diesem Monat wird’s nichts mehr“. Aber zwei Zentner Halbe könnte ich bekommen, mußte se dir aber selber abholen“, war die Bedingung
Ich zog den Karren. Nach zwei Tagen waren zwei Zentner Kohlenstaub verheizt.
Und morgen ist Heilig Abend. Zur Bescherung sollte es wenigsten warm sein. Ansonsten könnte ich gleich nach Grünau fahren und die Kerzen auf eine Kiefer stecken und „Stille Nacht, Heilige Nacht“ singen.
Still wäre der Abend aber nicht heilig.
Drei Häuser weiter, vor dem öffentlichen Gebäude, liegt ein verführerischer Briketthaufen. Draußen ist es dunkel. Mit zwei dehnbaren Netzen in der Hand spaziere ich die Straße entlang. Kein Mensch weit und breit. Sofort liegen vier bis fünf Kohlen im Netz. Ein kurzer Blick, alles ruhig. Weiter, fünfzehn, sechzehn, siebzehn, das erste ist voll.
Immer noch alles still.
Beim zweiten hat sich die Angst gelegt. Nur ganze Kohlen, denk ich, die heizen besser. Mutig singe ich, Kohlen klaun, Kohlen klaun ist wunderschön. Keiner kommt um mich zu störn.
Irrtum! Hinter meinem Rücken nähern sich im Schnee knirschende Schritte. Zum Weglaufen ist es zu spät. Chancenlos halte ich den Atem an. Stiefel, ein grüner Mantel, auf den Schultern jeweils ein silberner Stern, auf dem Kopf die Schirmmütze, geht ein Mann müden Blickes an mir vorüber, ohne mich zu beachten.
Es ist Nacht, die Fenster sind geschlossen, die Straßen sind leer. Nur er und ich sind unterwegs. Er mit der Aktentasche, meine Hand hält erschrocken das Brikett. Morgen ist Weihnachten.

1981

Ein Gedanke zu „Zwei Netze Kohlen“

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