Ein Freund

Du warst mein Freund, der absolute Vertraute in den starren Jahren in Ost-Berlin für mich. Zumindest glaubte ich das bis zu diesem Anruf, als an einem Sonntagmorgen 2014 das Telefon bei mir und meiner Frau klingelte. 

Damals in den Achtzigern kanntest du alle, ich niemanden. Du hattest jede Menge Freunde, ich nicht. Du warst umschwärmt und ich, naja, leider kaum. Du brauchtest Bewunderer, ich Orientierung. Außerdem warst du dort wo ich hin wollte. Also bewunderte ich dich.

Waren wir deswegen Freunde? Die Ostjahre hindurch sah es so aus.

Vom anderen Ende jetzt die charakteristischen sächsischen Töne mit Berlin-Attitüde. Du sagtest: „Hallo, icke bin’s.“

Nach fünf Jahren ohne jeglichen Kontakt war mir sofort bewusst, du bist es, mein Freund. Wie eh und je klangst du kumpelhaft, sympathisch unbeholfen. Ich musste über dein „icke“ schmunzeln.

Ganz unvermittelt plappertest du erleichtert: “heute (am Sonntag?!) hab ich’s erfahren, du warst nicht bei der Stasi!“

Plötzlich wurde mir deine Distanz während der Feier zu deinem 60. Geburtstag verständlich. 

Erleichtert antwortete ich: „Hättest du mich danach gefragt, hätte ich es dir schon vor Jahren gesagt. Wie kommst du eigentlich überhaupt an meine Akte?“

Deine Antwort klang wie eine Verlegenheitsantwort: Als Journalist dürftest du das. „Gerade habe ich einen Anruf erhalten, der mir das mitgeteilt hat.“ Seltsam, an einem Sonntag und dir wird das gesagt? Welche Recherche! Weil du für dich mittlerweile auch unglaubwürdig klangst, meintest du, das andere dich durcheinander gebracht hätten mit ihren Verdächtigungen und Behauptungen.

Mein wenig reflektierter Freund, du spieltest bei meinen Verhören durch die Stasi kaum eine Rolle. Höchstens hatten sie Fragen zu deiner kleinen Tochter, die du allein großziehen musstest, da für die Mutter ihre „Ausreise in die BRD ohne Kind“ wichtiger war als Verantwortung für ihr Kind zu übernehmen, wie die Stasitypen befanden. Ihr bedauern war wirklich ernst gemeint. 

Das Jugendamt würde zwar eine Überforderung bei dir sehen und Tendenzen einer Verwahrlosung bei der Kleinen als gegeben annehmen, doch handle man nicht, da die Westpresse staatliche Maßnahmen als Repressalie gegen Systemkritische gnadenlos ausschlachten würde. 

Kläre mich auf: Hängt dein abgrundtiefer DDR-Hass womöglich damit zusammen, dass Du die DDR dafür bestrafen wolltest, dass die Kindesmutter eurem Kind die Liebe entzog und dich allein im Osten ließ?

Nun frage ich dich: Ist es nicht das Gleiche, dein illegales Wühlen in meinem Leben jetzt, vermutlich noch durch die Hilfe eines anderen Beteiligten und das dumpfe Lesen meiner intimen Briefe durch die Stasi damals? Du hast mein Leben gelesen, meine Stasiakte! Meine Person wurde somit zweimal missbraucht. Wenn’s anders ist, zeig mir den Unterschied! Mir scheint, du misst mit zweierlei Maß. Nun gut, sei es wie es ist.

Mein Freund, mies ist mies. Und ich habe mich geirrt in dir, du falscher Freund!  

2019