Kristina


Ich kannte sie vom Sehen. Sie bevorzugte den selben dünnen Kaffe in demselben Espresso wie ich. Sie hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Illusion. Ihre Körperhaltung war affektiert, ihr Gang kokett. Die Augen streiften mit dem Glanz von bunten Glasmurmeln das angetrunkene Strandgut. Ihr Blick senkte sich tief in den wässrigen Grund der Tasse, wenn man sie ansah. Sie erinnerte dann an ein verängstigtes Reh ohne Fluchtgedanken.

Kurz und plötzlich erwiderte sie den Augenblick gelangweilter Schubladenbetrachtung und knöpfte mir die Hose auf. Mir blieb nichts anderes übrig als schnell das Lokal zu verlassen. – Wir schnitten uns nur an der Peripherie zweier treibender Leben.

Wieder in diesem Café konnte ich ihren Scheinwerferaugen nicht mehr widerstehen. Wir verabredeten uns bei mir zu einer obligatorischen Tasse Tee. Es wurde spät. Sie blieb bei mir: morgens sagte sie, dass ich lieb sei, gütige Augen hätte und etwas ganz besonderes wäre.

Sie hatte mich versetzt, und das gleich zweimal. Mein Ehrgefühl war ramponiert. Ich rannte ihr die Wohnung ein und hielt ihr einen Vortrag über Anstand und Moral; dass ich keiner wäre für eine Nacht. Wenn sie’s nötig hätte sollte sie sich doch ihren geschiedenen Mann vornehmen, der nur noch säuft und die Wohnung verwüstet. Oder diesen aalglatten Typen, mit dem ich sie öfter in der Stadt herum streunen sah. Aber auf keinen Fall mich.

Sie stand vor einem Berg Abwasch, und ihr Gör von fast zwei Jahren plärrte, so dass ich vollkommen nervös wurde. Mit einer Ruhe, die mich wütend machte, begann sie mit ihrer Erklärung: „Ich wäre heute Abend gern gekommen und hätte dir alles erzählt. Ich will dir die Wahrheit sagen: Ich gehe auf den Strich.“ Ich war platt. Ne Nutte dachte ich und war mir nicht schlüssig, ob ich mich noch nachträglich ekeln oder voller Lust auf sie stürzen sollte. Ihr konnte man einfach nichts übel nehmen. Sie stand da wie ein kleines blond gelocktes Mädchen, das ihr weißes Rüschenkleid mit Marmelade bekleckert hatte. „Wieviel verdienst du dabei“, bekam ich versöhnlich heraus. „Für zwei Stunden 200 West oder 100 Dollar, ohne Extras. Aber die Hälfte muss ich meinem Zuhälter abgeben. Was soll ich denn machen. Albrecht versäuft sein ganzes Geld und bringt es mit anderen Frauen durch. Und mein Kind braucht was zu essen, und es war nichts mehr da. Wir mussten einfach wieder los. Doch will ich endlich wieder aufhören damit; ich bin völlig fertig. Nur noch einige Male, damit ich die nächsten Monate überbrücken kann. Ich muss mir auch einen anderen „Beschützer“ suchen, der weniger nimmt.“

Was sollte ich darauf sagen. So eine Entschuldigung hatte ich nicht erwartet, daher war sie für mich glaubhaft. Aus der ganzen Sache wollte sie mich raushalten, aber meinte nun, dass sie es mir erzählen musste. Ich sollte ihr helfen, aus dem Schlamassel heraus zu kommen. Doch ich steckte selber tief genug in meinen eigenen Problemen. An mir festhalten war nicht. Ich war ein morscher Ast an einem sterbenden Baum und sie eine faulende Frucht.

Abends bei mir im Bett fragte ich sie nach den Extras und wie es so läuft. „Ach, Extras sind manchmal alberne Sachen: nackend auf dem Tisch tanzen oder durch die Zimmer auf allen Vieren rumkriechen und wie eine Sau dazu grunzen.“
„Und wozu brauchst du einen Zuhälter?“ interessierte ich mich weiter.
„Der kassiert vorher ab, damit mich keiner mit dem Geld erwischt in dem Hotel. Er wartet dann die zwei Stunden, und falls ich nicht komme, geht er rauf. Er ist schon wichtig. Ich muß mir wirklich einen neuen suchen“ seufzte sie und drückte sich fest in meinen Arm. Das wiederholte sie so lange, bis ich mir Gedanken darüber machte. „Ich würde weniger nehmen und immer danach ganz zärtlich und lieb zu dir sein; dir deine Wünsche von den Augen ablesen und dich vor allem in Ruhe lassen.“ Nachdenklich sagte ich das und fügte schnell hinzu: „Aber ich könnte so etwas nicht tun; außerdem bin ich zum Beschützen zu klein und zu schmächtig.“ Schnell fiel sie mir ins Wort. „Du würdest mich doch nicht ausbeuten. Wenn du es machst, ist doch nichts Schlechtes dabei. Außerdem ist es nicht so wie drüben. Wichtig ist nur, dass jemand dabei ist; Rivalität und Gewalt gibt es nicht. Hier läuft alles viel friedlicher ab. Wir leben doch in der DDR. Da ist alles humaner. Nur manchmal entstehen ganz unerwartete Situationen. Dann gäbe es auch für dich kein zurück mehr!“
Ein diebisches Lächeln umspielte in dieser flauen Mondnacht ihren Mund und zum erstan Mal mischte sich etwas von Härte in ihren Blick. Jedes Wort auskostend begann sie: „Es vor wenigen Tagen saßen wir an der Bar und warteten auf einen Kunden für mich. Irgendein Araber, den wir vorher noch nie gesehen hatten, bestellte uns Cocktails und begann mit meinem Zuhälter ein süßliches Gespräch. Mich langweilte dieses Wüstenkauderwelsch, sicher ging es um meinen Preis. Doch plötzlich schaute mich der arme Junge mit aufgerissenen Augen an, sein Kehlkopf rollte im Hals, so als hätte er schwer zu schlucken. Dann drückte mir der Araber ein paar Scheine in die Hand. Mein Zuhälter trottete wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird neben ihm her, schaute mich noch einmal Hilfe suchend an und verschwand im Fahrstuhl. In seeliger Ruhe trank ich mein Glas leer, rauchte noch eine Zigarette und beim Bezahlen lächelte mich der Barkeeper verschmitzt an und zwinkerte mir ein diskretes „Schicksal“ hinterher.“

Nach dieser Nacht habe ich Kristina nie wieder gesehen.
1984




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